2008-12-26

Die Frohe Botschaft, wie sie angekommen ist

In jener Gegend saßen Intellektuelle in ihrer Bibliothek und hielten ein nächtliches Kolloquium.

Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie waren sehr befremdet;

der Engel aber sagte zu ihnen: Seid nicht befremdet, denn ich verkünde euch eine tiefe Einsicht, die dem ganzen Volk zuteil werden soll.
(Anti-Lukas 2)




In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Unmündigen verborgen, den Weisen und Klugen aber offenbart hast.
(Anti-Matthäus 11)

2008-12-25

Was im Feind liebt die Feindesliebe?

* "Feind" ist ein Beziehungsbegriff, kein Eigenschaftsbegriff. "Feind" ist man nicht, sondern als "Feind" wird man gesehen.

* "Feindseligkeit" wird von niemandem als positiver sittlicher Wert geschätzt.
Wer als "feindselig" bezeichnet wird, weist diese Attribuierung zurück; er sieht in seiner Haltung und in seinem Handeln den Verfolg berechtigter, außerhalb jeder moralischen Frage stehender Interessen.
Den spürbaren Widerstand, den ihm ein anderer entgegensetzt, wird er wiederum als "feindselig" ansehen und sowohl zum Grund nehmen, die Mittel seiner Interessenwahrnehmung zu verschärfen, als auch zum Grund, von der eigenen Selbstgerechtigkeit noch überzeugter zu sein.

* Das beschreibt nun aber einen Zirkel, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.
Juristische und historische Ermittlungen (wer hat angefangen? wer hat unverhältnismäßig reagiert?) können keinen Ausweg aufzeigen.
Wenn es einen Ausweg gibt, dann liegt er im Willen, die Zukunft von der scheinbaren Zwangsläufigkeit zu befreien, mit der sich Bestehendes auf ewig fortschreiben möchte.
Das bedeutet: a) sich von dem Recht, das einen, wie man glaubt, über den anderen erhebt, zu lösen und b) das Recht, das dem anderen wie einem selbst zusteht, zu sehen. Beides gibt dem "Feind" die Möglichkeit, ebenfalls seine Verhärtung aufzubrechen und einen für beide Parteien ersprießlichen Weg mitzusuchen.
Die "Feindesliebe", zu der Jesus aufruft und ermutigt, bedeutet nun aber, in dieser Hinsicht, dem Aufbrechen eines ausweglosen Kreises, den ersten Schritt zu tun (und alle weiteren).
Da ich an Gott den Allmächtigen und Barmherzigen glaube, setze ich dem der Welt angeblich immanenten satanischen Prinzip das göttliche Prinzip entgegen. Und in meinem realitätszugewandten Glauben "sehe" ich das in allen Menschen angelegt, und sollte es noch so sehr verborgen sein.
Einen Weg, dem Verborgenen zur Welt zu verhelfen, zeigt diese buddhistische Weisheit auf:

Belasse alle Dinge, die dir begegnen, in ihrem eigenen Wesen,
dann werden sie durch dich aus sich selbst heraus befreit.
Und diese Quäker-Weisheit:
Answer the witness of the Lord God in every one.
George Fox, 1656
So sei es.

Feindesliebe ist nicht Liebe zum Feind oder zur Feindschaft, sondern Liebe zum Gotteskind in/hinter dem Feind.

2008-12-06

In Abrahams Schoß

Den Lärm meines Körpers - seine Schmerzen, seine wachsende Hinfälligkeit - und den Lärm meiner Außenwelt - was mich ärgert, was mir Sorge bereitet - nehme ich nur gedämpft wahr. Meine Zukunft, mein Ende und was danach kommt, kümmern mich nicht: Ich liege selig in Abrahams Schoß.

Aber...

Vater Abraham scheint mir aus seinem Bauch heraus etwas zu sagen - ob ich nicht zu früh zur Ruhe gekommen sei, scheint er zu fragen; ob ich denn schon reif genug sei, wieder wie ein Kleinkind alle Ruder aus der Hand zu legen... Und dann vernehme ich die Frage, die mich beunruhigt: ob mein unendliches Vertrauen nicht Flucht vor der Bewährung sei...

In der Tat weiß ich nicht, ob die dunklen Nächte, die ich in meiner Jugend und später schon durchlitten habe, mich in meiner Beziehung zum geliebten Höchsten erwachsen genug gemacht haben. Ich glaube, er hat als mein Ziel vorgesehen, dass ich ihm erwachsen gegenüberstehe. So, wie ich mich seit einiger Zeit verwöhnt fühle, kann ich nicht erwachsen werden. Habe ich unüberwindbare Angst vor der dunklen Nacht, in der mich der Geliebte wie eine Mutter ihren zahnenden Säugling entwöhnen will? Ist mein Vertrauen wahrhaftig?

Der "einzige Grund dafür, dass der Befreiungsprozess der dunklen Nacht so qualvoll ist, liegt darin, dass der 'alte Mensch' mit seinem Begehren immer wieder eine regressive Wiederherstellung der Mutterschoßverhältnisse intendiert und sich dadurch der neuschaffenden Liebe Gottes entgegenstellt."

Günter Benker: "Dunkle Nacht" der Ganzwerdung - C.G. Jung u. Johannes v. Kreuz

2008-12-05

Gotteskindschaft

Am Anfang seines öffentlichen Auftretens kam (nach Lukas 3) der Heilige Geist auf den Menschen Jesus herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach:

"Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden."

Die "Gottessohnschaft" ist ein uraltes Mythem des alten Ägypten und des ganzen alten Orients; es kleidet den Glauben an die Autorisierung bestimmter Menschen als Vermittler zum Göttlichen in ein poetisches Bild.

Ein Bild drückt eine Wahrheit aus, ist aber nicht die Wahrheit selbst.

Das sprachliche Bild statt seinen tiefen Sinn für die Wahrheit zu nehmen, halte ich in literarischer und religiöser Hinsicht für infantil.



Am Ende seines öffentlichen Auftretens schrie der Mensch Jesus am Kreuz um die neunte Stunde:

"Eli, Eli, lema sabachtani? (Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?)"

Dann rief er laut: "Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist" und verschied.

Das ist für mich das heiligste Ereignis des ganzen Evangeliums. Jesus, ganz Mensch, fühlt sich gottverlassen und ist doch ganz bei Gott - eine existenzielle Grunderfahrung, in der die furchtbare Verlassenheit durch das Vertrauen auf die göttliche Väterlichkeit aufgehoben wird.

Ich glaube, dass Jesus Gott so nahe war und ist wie kein anderer Mensch. Ich glaube, dass Jesus mein Bruder ist. Ich glaube, dass auch ich Kind seines Vaters bin. Ich glaube, dass dies die Botschaft Jesu war, ist und bleibt.



Mit der Hellenisierung der jesuanischen Botschaft, wie sie an entscheidenden Stellen im Johannes-Evangelium vorgenommen ist, kann ich wenig anfangen (obwohl ich die hellenische Philosophie außerordentlich schätze). Jesu Selbstverständnis war kaum vom Geist griechisch-philosophischen Denkens beeinflusst oder gar geprägt. Keine Philosophie und keine Theologie kann Jesu Botschaft verbessern oder ersetzen. Das Evangelium ist so, wie es ist, an die Schlichten gerichtet und an die, die sich aufgegeben haben oder aufgegeben worden sind, nicht aber an die religiöse Führungsschicht und nicht an die geistige Elite und nicht an die sozial Etablierten. Existenziell ausgedrückt: Es ist so, wie es ist, an das Schlichte in uns und unsere Heilungsbedürftigkeit gerichtet, nicht aber an unseren Intellekt und unseren Sozialnarzissmus. Wohl gilt es auch für die geistige Elite; - aber die muss offenbar erst die griechische Philosophie und ihre Abkömmlinge einschalten, um Jesu Wort einen schönen Platz im Tempel ihres Gedankensystems einzuräumen; nur - was ist damit gewonnen? Keine Vertiefung. Keine Vertiefung der ergreifenden und mitreißenden Kraft, mit der Jesus in Wort, Leben, Sterben und Auferstehen auch und gerade bei einfachen Menschen bewirkte und bewirkt, dass sie ihr Leben gänzlich neu begannen und beginnen. Mit einer systematisierenden Glaubenstheorie - ohne Zweifel eine Wandelhalle für interessante Spiele mit Gedanken! - ist für das Leben im Glauben nichts gewonnen. Eine Spielhalle kann übrigens auch eine Spielhölle und, schlimmer, die Stätte einer götzendienerischen Spiegelfechterei sein...

2008-11-14

Zur Bedeutung der Historizität des religiös Relevanten

Geschichtlichkeit, Wirklichkeit, wirkliches Geschehen in einem religiös relevanten Sinne hängt nicht von geschichtswissenschaftlichen oder sonstwie wissenschaftlichen Befunden ab. Geschichtlichkeit, Wirklichkeit, wirkliches Geschehen in einem religiös relevanten Sinne ist Bedeutungsraum glaubender Zuwendung; er kommt als solcher in den Lebensgeschichten der Einzelnen und in der Menschengeschichte im allgemeinen umdeutend, umgestaltend, Fakten schaffend zur Welt.

Die biographischen Daten Goethes interessieren mich schlichtweg nicht, wenn Goethes Geist in einem Werk wie diesem über mich kommt:

Nachts, wann gute Geister schweifen,
Schlaf dir von der Stirne streifen,

Mondenlicht und Sternenflimmern

Dich mit ewigem All umschimmern,

Scheinst du dir entkörpert schon,

Wagest dich an Gottes Thron.
Selbst wenn sich jemand den Johann Wolfgang Goethe "nur" ausgedacht hätte, wäre die Wirkung des Goetheschen Werks auf überaus bedeutsame Weise wirklich.

2008-09-09

Ethos in der Nachfolge Abrahams

In seinem Aufsatz "Auf dem steinigen Weg Abrahams. Eine Skizze gemeinsamer Aufgaben von Juden, Christen und Muslimen" (1) führt Bertold Klappert aus, warum «Abraham [...] ein kritischer Maßstab für das Leben der Abraham-Nachkommen [...] ist». Er erinnert an Abrahams Appell an den Richter aller Welt, Recht zu üben (Gen 18), an Abrahams Kampf um die Rettung des einzelnen Menschenlebens, durch den er "Freund Gottes" genannt wird (Jes 41,8; Jak 2; Sure 4,125) und an Abrahams «Offenheit und Toleranz aus Identität, sich von Melchisedek (= "Mein König ist Gerechtigkeit") segnen zu lassen», und fragt: «Wie sieht [...] das Ethos dieses Gehens in der Nachfolge Abrahams aus? Was sind die gemeinsamen Aufgaben, in denen Juden, Christen und Muslime miteinander und zugunsten der ganzen Menschheit auf den Wegen Abrahams zusammenarbeiten können?»





Eintreten für den Einzelnen; Eintreten für den Schwachen:



«Aus Gen 18 [...] lernen wir: Abrahams Kampf um menschliche Gerechtigkeit ist ein Teil der Verwirklichung des Segens Abrahams für die Völkerwelt und die Menschheit.»

In Lukas 16,19-31 erscheint Abraham als Inbegriff des Eintretens für das, was zwischen Menschen und für Menschen recht und Recht ist.




«[...] Für die jüdische, muslimische und christliche Tradition der Nachfolge Abrahams [ist es] charakteristisch, die Rettung des einzelnen Menschenlebens und den Einsatz für das einzelne Menschenleben deutlich zu akzentuieren: Die Rettung auch nur eines einzelnen Menschenlebens ist oberstes Gebot und darin Teilnahme am Abraham-Segen und Realisierung der Abraham-Nachfolge. Die Ethik der Gerechtigkeit für die Gesellschaft im ganzen erhält also ihre Nagelprobe in der Ethik der Verantwortung für das Menschenleben im einzelnen.»

Übereinstimmend mit der jüdisch-christlichen Tradition lehrt der Koran: «"Wer einen Menschen getötet hat ..., so ist es, als habe er die ganze Menschheit getötet. Wer aber auch nur eines Menschen Leben rettet, so ist es, als habe er die ganze Menschheit gerettet" (Sure 5,35).»

«Diese Ethik der Verantwortung für den einzelnen und der Rettung des einzelnen Menschenlebens konkretisiert die Abrahamverheißung von der Segnung aller Menschen und realisiert sie für die ganze Welt. Im Neuen Testament finden wir einen dieser Aussage im Koran entsprechenden und für die Jesustradition höchst charakteristischen Text im Jakobusbrief: "Was hilft es, Brüder und Schwestern, wenn jemand sagt, er habe [...] Glauben, aber keine Werke? [...] Du glaubst, daß es einen Gott gibt? Auch die Dämonen glauben das. Du siehst, daß der Glaube (Abrahams) zusammenwirkte mit seinen Werken. So aber glaubte Abraham Gott, und es wurde ihm zur Gerechtigkeit gerechnet, und er wurde ein Freund Gottes genannt" (Jakobus 2,14-26).»



«Das alte biblische Gesetz, wie dann die Propheten es verkündeten, ist vom Standpunkt des Kleinen, des Schwachen, des Bedürftigen aus geschrieben.»

Psalm 82 nennt «das Kriterium [...], von dem her die ELOHIM, die Götter der Völker, beurteilt und an dem sie gemessen werden: "Wie lange noch wollt ihr ungerecht richten und die Frevler begünstigen? Seid Richter dem Geringen und helft dem Elenden und Dürftigen zum Recht. Rettet den Geringen und Armen und befreit ihn aus der Gewalt der Gottlosen" (Ps 82,2-4).»





Toleranz als «Beziehung in Unterscheidung»; Denken vom Anderen her:



«Gen 14 [...] warnt [...] Juden, Christen und Muslime vor Überheblichkeit gegenüber den Nichtjuden, Nichtchristen und Nichtmuslimen: Es gibt die Segnung Abrahams durch den heidnischen König Melchisedek von draußen. Doch, es geht nach Gen 14 genau umgekehrt, als ihr aus eurer orthodoxen Tradition heraus erwarten würdet. [...]

Gen 14, die Begegnung des Abraham mit Melchisedek, ist [...] eine [...] Überlieferung, die über den Trialog (von Juden, Christen und Muslimen) hinaus das weite Feld der Begegnung und der Zusammenarbeit mit den außerabrahamitischen Religionen eröffnet und auch von dort her Segen, Segnung und Belehrung erwartet und erhofft.»



Ein dem Ethos Abrahams angemessener Dialog ist weder durch Exklusivität noch durch Überlegenheit noch durch Toleranz ohne Identität gekennzeichnet, sondern durch eine tolerante «Beziehung in Unterscheidung»: durch «das Denken von den anderen her (E. Lévinas) und die Faszination durch den Reichtum und die Schönheit der anderen».








«Wir haben deshalb eine Ethik der Wegbereitung für das Kommen des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit in der Nachfolge Abrahams, Jesu Christi und Muhammeds zu entfalten.» (2)







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(1) In: RHEINREDEN, Schriftenreihe der Melanchton-Akademie Köln, Nr. 1/1996, S.54-63 (=V.); Neudruck: Themenheft Räumt die Steine hinweg...Jes. 62,10 der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, Deutscher KoordinierungsRat, 1997.

(Publiziert im WWW vom Evangelischen Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und Nassau und vom Internationalen Rat der Christen und Juden.)




(2) In meinem Eintrag 2007-07-10 habe ich aus dem Buch "Jesus von Nazareth. Erster Teil" von Joseph Ratzinger die Einwände des Autors gegen eine regnozentrische Sicht des christlichen Glaubens zitiert («Wer sagt uns eigentlich, was Gerechtigkeit ist? Was in der konkreten Situation der Gerechtigkeit dient? Wie Friede geschaffen wird? Bei näherem Hinsehen erweist sich das alles als utopistisches Gerede ohne realen Inhalt») und mich kritisch mit ihnen befasst.

2008-08-15

Relative und absolute Richtungen




Norden und Süden kulminieren in zwei Punkten großer Distanz, aber gleicher Unwirtlichkeit.

Westen und Osten hingegen taugen als Begriffe zu nichts weniger als zur absolut gesetzten Abgrenzung von relational Verschränktem.

Das Beste am Norden, Süden, Osten und Westen:
Hinterm Horizont geht es weiter.

2008-08-14

Apotheose / Deifikation / Sanktifikation / Kanonisation / Beatifikation / Idolisierung / Heroisierung

Die Apotheose (Deifikation / Sanktifikation / Kanonisation / Beatifikation / Idolisierung / Heroisierung) von Menschen dürfte auf dem Urbedürfnis gründen, diejenigen Tugenden und Tüchtigkeiten unverletzlich und personifiziert festzumachen, die - entgegen der Unvollkommenheit und Armseligkeit des tatsächlich gelebten Lebens - dem eigenen Lebensentwurf Sinn, Zweck, Orientierung und Rückhalt geben.


Die Erhebung menschlicher Vorbilder in spirituelle Gefilde schafft vielen Menschen die Möglichkeit, sich zu identifizieren, d.h. eine Identität zu gewinnen. Der Verankerung dieser gefundenen Identität in das Selbst dient die Ritualisierung, insbesondere wenn sie in der Gemeinschaft mit einem oder möglichst vielen gleichgesinnten Mitmenschen gepflegt wird.


Wir befinden uns hier im anthropologischen Dreiländereck Psychologie/Religion/Politik, dessen Tektonik sowohl besondere Achtung als auch besondere Achtsamkeit gewidmet werden sollte. (Ohne Zahl nämlich sind die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die skrupellos, weil im Namen des Vergötterten, begangen worden sind; und dieser unterirdische Schoß ist fruchtbar noch.)


Was nachhaltig unverletzlich (geheiligt) sein soll, bedarf der Mystifizierung; denn nur das hinreichend Geheimnisvolle entzieht sich dem schnöden Zugriff der Sinne und der Hinter-Fragen. Dass das gelinge, ist der Zweck der Geheimkunst verzaubernder Verhüllung. Die Rolle derer, die nicht eingeweiht sind, was unter der Hülle vor sich gehen mag, sondern nur, dass da etwas vor sich gehe, ist, sich durch rituelles Feiern des Geheimnisses in ein spirituelles Hochgefühl zu versetzen und so die Konservierung der Heiligkeit des heiligenden Vorgangs zu rahmen und mitzutragen. Dadurch, fürwahr, vermittelt sich den einzelnen ein Gefühl der Einbettung in ein Großes, Ganzes und ein Bewusstsein bedeutungsvoller Identität.


Phänomenologisch betrachtet weisen manch Religiöses einerseits und manch Volksverführerisches andererseits gleiche Strukturen auf

* in der Art, wie sie ihre Inhalte und Ziele idealisieren und der Kritik zu entziehen suchen,

* in der Art, wie sie ihre Ideale symbolisieren und wie sie wiederum ihre Symbole erhöhen,

* in den Methoden der Rollenzuweisung an die Einzelnen und der Vergemeinschaftung der Einzelnen,

* in den Methoden der Verbreitung und des Schutzes ihrer Inhalte und

* in der solennen Ritualisierung des Umgangs mit ihren Inhalten und Symbolen.


Religiöse Menschen sollten eine Auseinandersetzung mit dieser strukturellen Nähe nicht scheuen; im Gegenteil. In diesem Thema steckt einiges drin, was durch Hinweise auf das geglaubte absolute Wahrheitswissen der jeweils eigenen Glaubensgemeinschaft völlig unzureichend behandelt wäre. So manche Massenideologie und so manches demagogisches Politkonzept neigen zu einer religionsanalogen Selbstheiligung und sind darin immer wieder erfolgreich. Umgekehrt gibt es religiöse Strömungen, die, wenn man ihnen freien Lauf lässt, zur Durchsetzung ihrer Heiligkeitsanschauung sich der Mittel ideologiehafter Suggestion, totalitärer Gehirnwäsche und terroristischer oder tyrannischer Gewaltanwendung bedienen. Wenn zur Durchsetzung ihrer Weltanschauung Potentaten sich heiligen lassen und Religiöse zu struktureller oder physischer Gewalt greifen, liegt die Frage nach dem Begriff des Heiligen und nach der Rechtfertigung von Heiligungen auf dem Tisch des Hauses, und sie schreit danach, anthropologisch - psychologisch, theologisch, politologisch - beackert zu werden.


Zwei Vorfragen stelle ich mir:

1. Was ist der Grund für die Entsprechung religiöser und nichtreligiöser Gleichschaltungsstrategien?

2. Wie lasse ich mich von dem Heiligen ergreifen?


Zu 1.

Ich unterscheide zwischen den Begriffen der Glaube und das Glauben.

Unter letzterem verstehe ich eine (re)konstruktive und produktive, nie bloß rezeptive und reproduktive geistige Tätigkeit: sich suchend annähern, sich um rechtes Verstehen der Botschaft bemühen, die Bedeutung der verstandenen Botschaft für sich selbst entdecken, dem Boten vertrauen, sich auf die in seiner Botschaft liegenden Konsequenzen einstellen durch Arbeit an sich und botschaftsgerechtes Handeln.

Hingegen ist der Glaube keine Tätigkeit, sondern etwas Vorentschiedenes, Angenommenes, an dem man (sich) festhält, das man reproduziert, das man vielleicht auch nur schlicht rezipiert hat.

Der Dynamik und Personengebundenheit, die das Glauben kennzeichnet, steht die Statik und Vermittelbarkeit gegenüber, die den Glauben ausmacht. Der statische, vermittelbare Glaube hat mit der Ideologie die Vorgegebenheit und die Tendenz zur Wahrung des Vorgegebenen gemein. Beständig kann Vorgebenes nur sein, wenn es übernommen wird, wie es ein für allemal geschaffen worden ist. Der Rezipient ist daher auf Traditionstreue festgelegt. Darin aber liegt eine fundamentale Gleichschaltungstendenz beschlossen.

Im Unterschied dazu begegnen dem in dem anderen Sinn Glaubenden in Glaubensbrüdern und -schwestern nicht Gleichgläubige oder, parteiisch ausgedrückt, Rechtgläubige, sondern Dialogpartner.


Zu 2.

Häufig schwelge ich im Zustand der Verzauberung und gebe mich ihm hin. Der Schein einer Kerzenflamme, Schubertsche Klänge, Barfußlaufen am Brandungssaum, das Mienenspiel meines Enkelsöhnchens, das Schlagen meiner Gartennachtigall, Erinnerung an meine Mutti selig, eine Kleistsche Novelle, die schnurrig-schmusige Zufriedenheit meines Kätzchens und auch, sehr oft: ein plötzliches Gefühl des unerklärlichen Aufgehobenseins, der Geborgenheit, mitten in der Misere.

Diese Hingabe wird von meinem Verstand gnädig gebilligt, und wohlwollend gibt er mir Urlaub von sich und sich Urlaub von mir.

Das Schöne wie das Erhabene, das Heilige inbegriffen, sind die Ambrosia meiner kleinen Seele, und mein Intellekt ist, Gott sei Dank, nicht so despotisch, mir diese Atzung madig zu machen. Allerdings war er bei der Inkubation der meisten meiner bisherigen Verzauberungen mitspracheberechtigt und hatte Gelegenheit zu vermelden, ob die bevorstehende Hingabe sich zur Selbstaufgabe auszuwachsen drohe. So gelang es mir bislang meistens, hingegeben ganz und ganz ich zu bleiben (oder gar zu werden) und nicht zum Spielball des Verzaubernden.

Das Gesagte betrifft voll und ganz auch mein Verhältnis zum Heiligen (und zu Heiligen). Geheiligt (als Unverletzliches achtenswert) ist für mich nur dasjenige Erhabene, das mich und mit mir jeden anderen heiligt (in mir und jedem anderen das Unverletzliche achtet und uns so heil lässt oder heil macht).

Daher kann mir mein Vaterland nicht heilig sein - es mangelt ihm (wie jedem anderen Vaterland) sowohl an der Erhabenheit als auch am Heil-Bringen. Auch ein Despot kann mir nicht heilig sein, und wäre er der Allmächtige selbst - ihm, dem Lieblosen und Ungeliebten, kommt es nicht darauf an, ob er oder ob er nicht Vertrauen zu denen haben kann, die er unterdrückt, sondern nur auf die Durchsetzung seiner Macht.

Solcherlei Kritik muss aushalten, was oder wer sich anschickt, mich als Heiliges in seinen Bann zu ziehen. Mich verschlingen lassen will ich nicht, und wäre der Schlund auch noch so schön oder schaurig.


Der Verstand kann auch zu korrupten Zwecken prostituiert werden, nämlich dann, wenn die praktische Vernunft (als "das Vermögen sittlicher Prinzipien" - Kant -) unterentwickelt ist oder sich von Trieben hat breitschlagen lassen.

Das steckte in meinem Oberstübchen, als ich dieses für mich gültige Prinzip niederschrieb: "Geheiligt (als Unverletzliches achtenswert) ist für mich nur dasjenige Erhabene, das mich und mit mir jeden anderen heiligt (in mir und jedem anderen das Unverletzliche achtet und uns so heil lässt oder heil macht)." Was mich verschlingen oder erdrücken will oder andere entwürdigen oder vernichten will, kann mir nicht heilig sein.


Daher ist beispielsweise diejenige Gottesprojektion, die im Buch Ezechiel, Kapitel 9 vorgenommen ist, ein Gräuel, eine Fratze des Heiligen, das Unheilige schlechthin:

Die Herrlichkeit des Gottes Israels schwebte von den Kerubim, über denen sie war, hinüber zur Schwelle des Tempels. Er rief den Mann, der das leinene Gewand anhatte und an dessen Gürtel das Schreibzeug hing. Der Herr sagte zu ihm: Geh mitten durch die Stadt Jerusalem und schreib ein T auf die Stirn aller Männer, die über die in der Stadt begangenen Gräueltaten seufzen und stöhnen.

Und ich hörte, wie er zu den anderen sagte: Geht hinter ihm her durch die Stadt und schlagt zu! Euer Auge soll kein Mitleid zeigen, gewährt keine Schonung! Alt und jung, Mädchen, Kinder und Frauen sollt ihr erschlagen und umbringen. Doch von denen, die das T auf der Stirn haben, dürft ihr keinen anrühren. Beginnt in meinem Heiligtum!

Da begannen sie bei den Ältesten, die vor dem Tempel standen. Er sagte zu ihnen: Macht den Tempel unrein, füllt seine Höfe mit Erschlagenen! Dann geht hinaus und schlagt in der Stadt zu!

Sie schlugen zu und ich allein blieb übrig; da fiel ich nieder auf mein Gesicht und schrie: Ach, Herr und Gott, willst du deinen ganzen Zorn über Jerusalem ausschütten und auch noch den letzten Rest Israels vernichten?

Er sagte zu mir: Die Schuld des Hauses Israel und des Hauses Juda ist groß, ja übergroß. Das Land ist voll Blutschuld, die Stadt ist voll Unrecht. Sie sagen: Der Herr sieht es nicht; der Herr hat das Land verlassen.


Ein Gott, der nicht bedenkt, dass Kinder keine Schuld vor ihm haben können, auch die Schuld ihrer Väter nicht zu beurteilen und folglich nicht zu beklagen wissen und daher kein rettendes T auf die Stirn gemalt bekommen, und der diese Kinder zum Schlachtopfer macht, zwecks Befriedigung seiner Rachegelüste, gehört ins Reich der üblen Träume, aber nicht in das, was ich eine heilige Schrift nennen möchte.


Hingegen erkenne ich Heiligkeit und sogar jesuanischen Geist in der chassidischen Erzählung "Einen Menschen umbringen" (die hier nachzulesen ist), an deren Ende es heißt:

Die Thora [lehrt uns]: einen Menschen umbringen, das muss Gott allein uns befehlen, und hat er`s schon getan, wenn dann das winzigste Englein kommt und uns sagt: 'Streck deine Hand nicht aus', so haben wir dessen Spruch zu folgen.
Amen.


Aber: Es ist würdig und recht, das Erhabene, Schöne, ja Erotische des Heiligen in den Schalen der Ästhetik zu bewahren. Von dort mag es den Dürstenden und Trunkenen, Hungernden und Satten, Sehenden und Blinden, Hörenden und Tauben, Pilgernden und Sesshaften zulächeln:

Marica Bodrožic': Ein Kolibri kam unverwandelt


Ein Kolibri kam unverwandelt

in die Gattung der Träume hinein,

sah sich um, sah die dort vorhandenen

Menschen, malte seine Flügel blau und sagte

zu den Zweibeinigen: ich bin der Himmel.

Die Farbe sprach dafür.

Aber die Leute hatten keine Beweise.

Also schwiegen sie feige um die Schönheit

herum, gaben vor, Diplomatie zu betreiben.

Sie rechneten, betrieben Kalkulation

und teilten am Ende dem Kolibri mit,

man habe beschlossen, Farbe,

das sei Illusion. Der Vogel staunte,

er lernte das Staunen unvermittelt

von den Menschen, flog zu den lila Blüten,

setzte sich hin und packte sein Zauberbuch aus.

Dann blätterte er einige Mal hin und her,

verwandelte sich in einen Schmetterling,

malte seine Flügel blau und sagte

zu den Menschen: ich bin der Himmel.

Die Farbe sprach dafür.

Aber die neuen Kinder hatten keine Träume mehr.

Sie nahmen das sprechende Wunder

zwischen die Finger. Und erst der Staub

rief sie ins Staunen. Der Schmetterling

wurde unterdessen gelb, flog in die Urgegend

der Bilder, ruhte auf den reifenden Zitronen,

wurde ein Kolibri, kam unverwandelt

in die Gattung der Träume hinein,

sah sich um, sah die dort vorhandenen

Menschen, und hatte Geduld.


Schlußbemerkung: Ein hervorragendes, vielleicht einziges Korrektiv gegen die Irrungen apotheotisch abgehobenen Geistes ist die Satire. Ich darf als leuchtendes Beispiel die Divi Claudii Apocolocyntosis (Verkürbissung des gerade vergöttlichten Kaisers Claudius) von Lucius Annaeus Seneca erwähnen (Latein, mit deutscher Übersetzung, bei gottwein.de).

Manch ein Heiliger sollte von seinem Sockel heruntergelacht werden - um der Idee des Heiligen willen. (Freilich kann solche Desekrationstätigkeit auch eine Art (negative) Idolatrie sein, wenn sie aus Lust oder Neid das Kind mit dem Bade ausgießt und in den Schmutz zieht; da muss man halt auf sich selbst aufpassen.)

Glaube und Gottesliebe

Ich lasse mich gern spielerisch und entdeckungsfreudig auf christliche und nichtchristliche Variationen bzw. Parallelführungen der jesuanischen Kernaussage ein.


Augustinus (Vorträge zum Johannesbrief an die Parther 5,7):

Dilectio ergo sola discernit inter filios dei et filios diaboli. Signent se omnes signo crucis Christi; respondeant omnes, amen; cantent omnes, alleluia; baptizentur omnes, intrent ecclesias, faciant parietes basilicarum: Non discernuntur filii dei a filiis diaboli, nisi caritate. Qui habent caritatem, nati sunt ex deo: Qui non habent, non sunt nati ex deo. Magnum indicium, magna discretio. Quidquid vis habe; hoc solum non habeas, nihil tibi prodest: Alia si non habeas, hoc habe, et implesti legem.

Die Liebe allein also unterscheidet zwischen den Söhnen Gottes und den Söhnen des Teufels. Mögen sich alle mit dem Zeichen des Kreuzes bezeichnen, mögen alle Amen antworten, mögen alle Halleluja singen, mögen alle sich taufen lassen, in die Kirchen eintreten, Kirchenwände errichten: Der Unterschied zwischen den Kindern Gottes und den Kindern des Teufels liegt einzig und allein im Besitz der Liebe. Die die Liebe haben, sind aus Gott geboren, die sie nicht haben, sind nicht aus Gott geboren. Ein sicheres Indiz, eine sichere Unterscheidung. Magst du haben, was immer du willst; hast du dies allein nicht, nützt es dir nichts. Magst du anderes nicht haben, bemühe dich um dies, und du hast (damit) das Gesetz erfüllt.


Rābi'a al-'Adawiyya (717-801):

O mein Herr,

wenn ich Dich anbete aus Furcht vor der Hölle,

verbrenne mich in der Hölle,

und wenn ich Dich anbete aus Hoffnung auf das Paradies,

schließe mich davon aus.



Aber wenn ich Dich anbete um Deiner Selbst willen,

dann versage mir nicht Deine ewige Schönheit.


Omar Khayyam (Chajjam):

Although the creeds number some seventy-three,

I hold with none but that of loving Thee;

What matter faith, unfaith, obedience, sin?

Thou'rt all we need, the rest is vanity.


Aus den Erzählungen der Chassidim (gesammelt und übersetzt von M. Buber):

Einmal war der Sinn des Baalschem so gesunken, daß ihm schien, er könne keinen Anteil an der kommenden Welt haben.

Da sprach er zu sich: "Wenn ich Gott liebe, was brauche ich da eine kommende Welt?"



2008-07-18

Autonomie des Denkens?

Sokrates: Ich folge nicht dem väterlichen Nomos; ich folge nicht dem Belieben. Ich folge dem Logos.


2 B continued.

2008-06-16

Kants Postulat der Existenz Gottes

In seiner Kritik der reinen Vernunft (B 857) schreibt Kant, er sei (nicht es sei, sondern: er sei) moralisch (nicht logisch, sondern: moralisch) gewiss, dass ein Gott sei. Die Vernunfterkenntnis der inneren Notwendigkeit, dass ein sittliches Gesetz sei, ist für Kant das Entscheidende; praktische Gründe ("um jenen Gesetzen Effekt zu geben") führen ihn zu der "Voraussetzung einer selbständigen Ursache, oder eines weisen Weltregierers". Diese Voraussetzung kennzeichnet er aber ausdrücklich als eine Hilfskonstruktion für "die letzten Zwecke der Vernunft", nämlich des Handelns im Einklang mit den (der Vernunft immanenten) Moralgesetzen, nicht etwa als einen realen und real wirkenden Gegenstand der Erkenntnis.
"Wir werden", schreibt er (B 847), "Handlungen nicht darum für verbindlich halten, weil sie Gebote Gottes sind, sondern sie darum als göttliche Gebote ansehen, weil wir dazu innerlich verbindlich sind."

Formal könnte man diesen Kantschen Vernunftglauben in Übereinstimmung sehen mit der islamischen Regel, die Religion dürfe nicht elementaren Vernunftregeln widersprechen. Aber diese Entsprechung trägt nicht weit genug, um zu behaupten, dass der Gott des Philosophen Kant, nach dem restlos(!) alle Gottesbilder bloße austauschbare Hilfsvorstellungen sind, "nicht anders" sei als etwa der sich Abraham/Ibrahim offenbarende Gott.

«Also ist die oberste Ursache der Natur, so fern sie zum höchsten Gute vorausgesetzt werden muß, ein Wesen, das durch Verstand und Willen die Ursache (folglich der Urheber) der Natur ist, d.i. Gott. Folglich ist das Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts (der besten Welt) zugleich das Postulat der Wirklichkeit eines höchsten ursprünglichen Guts, nämlich der Existenz Gottes.»

[Kant: KpV - Das Dasein Gottes, als ein Postulat der reinen praktischen Vernunft]

Kants Postulat der Existenz Gottes (ebenso wie das Postulat der Unsterblichkeit) stellt das - nach Kant - sonst fehlende Bindeglied her zwischen den beiden Teilen des höchsten Guts: der Sittlichkeit und der Glückseligkeit. Das Ziel der Glückseligkeit müsse dem Gesetz der Sittlichkeit "angemessen" sein, daher sei es "moralisch notwendig, das Dasein Gottes anzunehmen", schreibt er (a.a.O.). Er weist aber ausdrücklich darauf hin,

a) "dass diese moralische Notwendigkeit subjektiv, d.i. Bedürfnis, und nicht objektiv, d.i. selbst Pflicht sei" und

b) "dass die Annehmung des Daseins Gottes" nicht etwa "als eines Grundes aller Verbindlichkeit überhaupt notwendig sei" (denn der Grund aller Verbindlichkeit beruht nach Kant "lediglich auf der Autonomie der Vernunft selbst").

Nur unter diesen Voraussetzungen will er verstanden wissen, was er weiter schreibt: dass nämlich die "Hervorbringung und Beförderung des höchsten Guts in der Welt" "unsere Vernunft nicht anders denkbar findet, als unter Voraussetzung einer höchsten Intelligenz". Für die theoretische Vernunft, schreibt er, ist diese Annahme "Erklärungsgrund", Hypothese; in Beziehung auf die dem moralischen Gesetz verpflichtete praktische Vernunft kann diese Annahme "Glaube, und zwar reiner Vernunftglaube, heißen".

Wie Kant weiter aufzeigt, "ist das höchste Gut in der Welt nur möglich, so fern eine oberste Ursache der Natur angenommen wird, die eine der moralischen Gesinnung gemäße Kausalität hat. Nun ist ein Wesen, das der Handlungen nach der Vorstellung von Gesetzen fähig ist, eine Intelligenz (vernünftig Wesen) und die Kausalität eines solchen Wesens nach dieser Vorstellung der Gesetze ein Wille desselben." Und dann folgt der bereits zitierte Schluss: "Also ist die oberste Ursache der Natur, so fern sie zum höchsten Gute vorausgesetzt werden muß, ein Wesen, das durch Verstand und Willen die Ursache (folglich der Urheber) der Natur ist, d.i. Gott. Folglich ist das Postulat der Möglichkeit des höchsten abgeleiteten Guts (der besten Welt) zugleich das Postulat der Wirklichkeit eines höchsten ursprünglichen Guts, nämlich der Existenz Gottes."



Zur Frage der Gottesvorstellung sagt Kant:

«[...] Wir bedürfen, um uns übersinnliche Beschaffenheiten faßlich zu machen, immer einer gewissen Analogie mit Naturwesen.»

[Kant: AA VI, Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft, Seite 064]

Damit sagt er aber etwas über uns und unser Vorstellungsvermögen aus, und nichts über den Gegenstand der Vorstellung.