2013-01-24

Gottesbild

Glauben — als personaler Akt des Fürwahrhaltens und nicht als Gegenstand einer Katechese — ist immer ein bewusstes, mehr oder weniger elaboriertes Interpretieren einer hinreichend tief erlebten Beziehung, sei es, dass sie von außen, etwa von einer Offenbarung, gestiftet ist, sei es, dass sie einem Seelenbedürfnis entspringt. Dem, worauf es sich bezieht, fügt dieses Ausdeuten immer etwas, nämlich Eigenes, hinzu, wie es von dem, worauf es sich bezieht, auch einiges unterdrückt. Das galt gewisslich auch für Abraham und Mose und die Hirten auf dem Feld bei Bethlehem und jeden einzelnen Jünger Jesu und jeden einzelnen Kirchenvater und für Mohammed und für Meister Eckhart und für die große und die kleine Thérèse sowie für jeden Häretiker und für jeden Inquisitor, wie es auch für Hinz und für Kunz, für dich und für mich gilt. Die Annahme, es gebe Unterschiede, was die Nähe des je Fürwahrgehaltenen zur Wahrheit betrifft, erachte ich nicht ganz für abwegig; wohl aber halte ich es für intellektuell unzulässig, in dieser Frage dezidierte Urteile zu fällen.

Vor diesem Hintergrund erscheinen mir alle ausgeklügelten Systeme dessen, was zu glauben sei, wie ein müßiges gedankliches Spiel mit der Wahrheit und deren Surrogaten. Alle Theologien, die sich über ihren Dienst als Poetik (nämlich als Beschreibung, Hermeneutik und Kritik vorhandener Bilder) erheben und aus sich heraus das Göttliche und den göttlichen Willen und Gottes Wirken definieren und erklären, halte ich für anmaßend und sind für mich unmaßgeblich.

Sofern in meiner Beziehung zu Gott Anschauung und Begriff involviert sind, weiß ich um die Unbeholfenheit, das Vorläufige, die Hilfsfunktion dieser Bilder. Ich hüte mich davor, diese Anschauungen und Begriffe an die Stelle Gottes zu setzen; denn ich glaube, dass er mir dann aus dem Sinn käme.