2008-12-05

Gotteskindschaft

Am Anfang seines öffentlichen Auftretens kam (nach Lukas 3) der Heilige Geist auf den Menschen Jesus herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach:

"Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden."

Die "Gottessohnschaft" ist ein uraltes Mythem des alten Ägypten und des ganzen alten Orients; es kleidet den Glauben an die Autorisierung bestimmter Menschen als Vermittler zum Göttlichen in ein poetisches Bild.

Ein Bild drückt eine Wahrheit aus, ist aber nicht die Wahrheit selbst.

Das sprachliche Bild statt seinen tiefen Sinn für die Wahrheit zu nehmen, halte ich in literarischer und religiöser Hinsicht für infantil.



Am Ende seines öffentlichen Auftretens schrie der Mensch Jesus am Kreuz um die neunte Stunde:

"Eli, Eli, lema sabachtani? (Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?)"

Dann rief er laut: "Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist" und verschied.

Das ist für mich das heiligste Ereignis des ganzen Evangeliums. Jesus, ganz Mensch, fühlt sich gottverlassen und ist doch ganz bei Gott - eine existenzielle Grunderfahrung, in der die furchtbare Verlassenheit durch das Vertrauen auf die göttliche Väterlichkeit aufgehoben wird.

Ich glaube, dass Jesus Gott so nahe war und ist wie kein anderer Mensch. Ich glaube, dass Jesus mein Bruder ist. Ich glaube, dass auch ich Kind seines Vaters bin. Ich glaube, dass dies die Botschaft Jesu war, ist und bleibt.



Mit der Hellenisierung der jesuanischen Botschaft, wie sie an entscheidenden Stellen im Johannes-Evangelium vorgenommen ist, kann ich wenig anfangen (obwohl ich die hellenische Philosophie außerordentlich schätze). Jesu Selbstverständnis war kaum vom Geist griechisch-philosophischen Denkens beeinflusst oder gar geprägt. Keine Philosophie und keine Theologie kann Jesu Botschaft verbessern oder ersetzen. Das Evangelium ist so, wie es ist, an die Schlichten gerichtet und an die, die sich aufgegeben haben oder aufgegeben worden sind, nicht aber an die religiöse Führungsschicht und nicht an die geistige Elite und nicht an die sozial Etablierten. Existenziell ausgedrückt: Es ist so, wie es ist, an das Schlichte in uns und unsere Heilungsbedürftigkeit gerichtet, nicht aber an unseren Intellekt und unseren Sozialnarzissmus. Wohl gilt es auch für die geistige Elite; - aber die muss offenbar erst die griechische Philosophie und ihre Abkömmlinge einschalten, um Jesu Wort einen schönen Platz im Tempel ihres Gedankensystems einzuräumen; nur - was ist damit gewonnen? Keine Vertiefung. Keine Vertiefung der ergreifenden und mitreißenden Kraft, mit der Jesus in Wort, Leben, Sterben und Auferstehen auch und gerade bei einfachen Menschen bewirkte und bewirkt, dass sie ihr Leben gänzlich neu begannen und beginnen. Mit einer systematisierenden Glaubenstheorie - ohne Zweifel eine Wandelhalle für interessante Spiele mit Gedanken! - ist für das Leben im Glauben nichts gewonnen. Eine Spielhalle kann übrigens auch eine Spielhölle und, schlimmer, die Stätte einer götzendienerischen Spiegelfechterei sein...

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