2008-12-26

Die Frohe Botschaft, wie sie angekommen ist

In jener Gegend saßen Intellektuelle in ihrer Bibliothek und hielten ein nächtliches Kolloquium.

Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie waren sehr befremdet;

der Engel aber sagte zu ihnen: Seid nicht befremdet, denn ich verkünde euch eine tiefe Einsicht, die dem ganzen Volk zuteil werden soll.
(Anti-Lukas 2)




In jener Zeit sprach Jesus: Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du all das den Unmündigen verborgen, den Weisen und Klugen aber offenbart hast.
(Anti-Matthäus 11)

2008-12-25

Was im Feind liebt die Feindesliebe?

* "Feind" ist ein Beziehungsbegriff, kein Eigenschaftsbegriff. "Feind" ist man nicht, sondern als "Feind" wird man gesehen.

* "Feindseligkeit" wird von niemandem als positiver sittlicher Wert geschätzt.
Wer als "feindselig" bezeichnet wird, weist diese Attribuierung zurück; er sieht in seiner Haltung und in seinem Handeln den Verfolg berechtigter, außerhalb jeder moralischen Frage stehender Interessen.
Den spürbaren Widerstand, den ihm ein anderer entgegensetzt, wird er wiederum als "feindselig" ansehen und sowohl zum Grund nehmen, die Mittel seiner Interessenwahrnehmung zu verschärfen, als auch zum Grund, von der eigenen Selbstgerechtigkeit noch überzeugter zu sein.

* Das beschreibt nun aber einen Zirkel, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.
Juristische und historische Ermittlungen (wer hat angefangen? wer hat unverhältnismäßig reagiert?) können keinen Ausweg aufzeigen.
Wenn es einen Ausweg gibt, dann liegt er im Willen, die Zukunft von der scheinbaren Zwangsläufigkeit zu befreien, mit der sich Bestehendes auf ewig fortschreiben möchte.
Das bedeutet: a) sich von dem Recht, das einen, wie man glaubt, über den anderen erhebt, zu lösen und b) das Recht, das dem anderen wie einem selbst zusteht, zu sehen. Beides gibt dem "Feind" die Möglichkeit, ebenfalls seine Verhärtung aufzubrechen und einen für beide Parteien ersprießlichen Weg mitzusuchen.
Die "Feindesliebe", zu der Jesus aufruft und ermutigt, bedeutet nun aber, in dieser Hinsicht, dem Aufbrechen eines ausweglosen Kreises, den ersten Schritt zu tun (und alle weiteren).
Da ich an Gott den Allmächtigen und Barmherzigen glaube, setze ich dem der Welt angeblich immanenten satanischen Prinzip das göttliche Prinzip entgegen. Und in meinem realitätszugewandten Glauben "sehe" ich das in allen Menschen angelegt, und sollte es noch so sehr verborgen sein.
Einen Weg, dem Verborgenen zur Welt zu verhelfen, zeigt diese buddhistische Weisheit auf:

Belasse alle Dinge, die dir begegnen, in ihrem eigenen Wesen,
dann werden sie durch dich aus sich selbst heraus befreit.
Und diese Quäker-Weisheit:
Answer the witness of the Lord God in every one.
George Fox, 1656
So sei es.

Feindesliebe ist nicht Liebe zum Feind oder zur Feindschaft, sondern Liebe zum Gotteskind in/hinter dem Feind.

2008-12-06

In Abrahams Schoß

Den Lärm meines Körpers - seine Schmerzen, seine wachsende Hinfälligkeit - und den Lärm meiner Außenwelt - was mich ärgert, was mir Sorge bereitet - nehme ich nur gedämpft wahr. Meine Zukunft, mein Ende und was danach kommt, kümmern mich nicht: Ich liege selig in Abrahams Schoß.

Aber...

Vater Abraham scheint mir aus seinem Bauch heraus etwas zu sagen - ob ich nicht zu früh zur Ruhe gekommen sei, scheint er zu fragen; ob ich denn schon reif genug sei, wieder wie ein Kleinkind alle Ruder aus der Hand zu legen... Und dann vernehme ich die Frage, die mich beunruhigt: ob mein unendliches Vertrauen nicht Flucht vor der Bewährung sei...

In der Tat weiß ich nicht, ob die dunklen Nächte, die ich in meiner Jugend und später schon durchlitten habe, mich in meiner Beziehung zum geliebten Höchsten erwachsen genug gemacht haben. Ich glaube, er hat als mein Ziel vorgesehen, dass ich ihm erwachsen gegenüberstehe. So, wie ich mich seit einiger Zeit verwöhnt fühle, kann ich nicht erwachsen werden. Habe ich unüberwindbare Angst vor der dunklen Nacht, in der mich der Geliebte wie eine Mutter ihren zahnenden Säugling entwöhnen will? Ist mein Vertrauen wahrhaftig?

Der "einzige Grund dafür, dass der Befreiungsprozess der dunklen Nacht so qualvoll ist, liegt darin, dass der 'alte Mensch' mit seinem Begehren immer wieder eine regressive Wiederherstellung der Mutterschoßverhältnisse intendiert und sich dadurch der neuschaffenden Liebe Gottes entgegenstellt."

Günter Benker: "Dunkle Nacht" der Ganzwerdung - C.G. Jung u. Johannes v. Kreuz

2008-12-05

Gotteskindschaft

Am Anfang seines öffentlichen Auftretens kam (nach Lukas 3) der Heilige Geist auf den Menschen Jesus herab, und eine Stimme aus dem Himmel sprach:

"Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden."

Die "Gottessohnschaft" ist ein uraltes Mythem des alten Ägypten und des ganzen alten Orients; es kleidet den Glauben an die Autorisierung bestimmter Menschen als Vermittler zum Göttlichen in ein poetisches Bild.

Ein Bild drückt eine Wahrheit aus, ist aber nicht die Wahrheit selbst.

Das sprachliche Bild statt seinen tiefen Sinn für die Wahrheit zu nehmen, halte ich in literarischer und religiöser Hinsicht für infantil.



Am Ende seines öffentlichen Auftretens schrie der Mensch Jesus am Kreuz um die neunte Stunde:

"Eli, Eli, lema sabachtani? (Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?)"

Dann rief er laut: "Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist" und verschied.

Das ist für mich das heiligste Ereignis des ganzen Evangeliums. Jesus, ganz Mensch, fühlt sich gottverlassen und ist doch ganz bei Gott - eine existenzielle Grunderfahrung, in der die furchtbare Verlassenheit durch das Vertrauen auf die göttliche Väterlichkeit aufgehoben wird.

Ich glaube, dass Jesus Gott so nahe war und ist wie kein anderer Mensch. Ich glaube, dass Jesus mein Bruder ist. Ich glaube, dass auch ich Kind seines Vaters bin. Ich glaube, dass dies die Botschaft Jesu war, ist und bleibt.



Mit der Hellenisierung der jesuanischen Botschaft, wie sie an entscheidenden Stellen im Johannes-Evangelium vorgenommen ist, kann ich wenig anfangen (obwohl ich die hellenische Philosophie außerordentlich schätze). Jesu Selbstverständnis war kaum vom Geist griechisch-philosophischen Denkens beeinflusst oder gar geprägt. Keine Philosophie und keine Theologie kann Jesu Botschaft verbessern oder ersetzen. Das Evangelium ist so, wie es ist, an die Schlichten gerichtet und an die, die sich aufgegeben haben oder aufgegeben worden sind, nicht aber an die religiöse Führungsschicht und nicht an die geistige Elite und nicht an die sozial Etablierten. Existenziell ausgedrückt: Es ist so, wie es ist, an das Schlichte in uns und unsere Heilungsbedürftigkeit gerichtet, nicht aber an unseren Intellekt und unseren Sozialnarzissmus. Wohl gilt es auch für die geistige Elite; - aber die muss offenbar erst die griechische Philosophie und ihre Abkömmlinge einschalten, um Jesu Wort einen schönen Platz im Tempel ihres Gedankensystems einzuräumen; nur - was ist damit gewonnen? Keine Vertiefung. Keine Vertiefung der ergreifenden und mitreißenden Kraft, mit der Jesus in Wort, Leben, Sterben und Auferstehen auch und gerade bei einfachen Menschen bewirkte und bewirkt, dass sie ihr Leben gänzlich neu begannen und beginnen. Mit einer systematisierenden Glaubenstheorie - ohne Zweifel eine Wandelhalle für interessante Spiele mit Gedanken! - ist für das Leben im Glauben nichts gewonnen. Eine Spielhalle kann übrigens auch eine Spielhölle und, schlimmer, die Stätte einer götzendienerischen Spiegelfechterei sein...