2007-07-15

Vernunft und Religion

Die Vernunft halte religiöse Selbstsucht im Zaum! Man kann es auch, weniger säkularistisch, mit Johannes Scotus Eriugena (810-877) sagen: Zwar ist die Offenbarung  der menschlichen Vernunft nicht zugänglich; aber Offenbarung wie Vernunft stammen von dem Einen Gott, können folglich einander nicht widersprechen. Stellt also die Vernunft einen Widerspruch zu einer Offenbarung fest, so muss sie dem Anspruch dieser Offenbarung, göttlichen Ursprungs zu sein, widersprechen.

Zwei Haltungen müssen das Denken daran hindern, sich über seine Möglichkeiten und die Vernunft zu erheben: Liebe, und zwar Menschenliebe, (Augustinus) und Demut (Cusanus).
Liebe:

«Quia vero caritas aedificat (1 Cor 8,1), non permittit scientiam inflari.» (Augustinus, Sermo 354,6).
«Weil aber die Liebe aufbaut (1 Korinther 8,1), erlaubt sie es der Wissenschaft nicht, sich aufzublähen.» (Augustinus, Predigt 354,6).

Demut:
«Da der Erkenntnistrieb nicht umsonst in uns ist, geht unser Verlangen offenbar dahin zu wissen, dass wir nichts wissen. Bringen wir dieses Verlangen zur Vollendung, so erlangen wir die Wissenschaft des Nichtwissens (doctam ignorantiam).»
Nicolaus von Cues: Von der Wissenschaft des Nichtwissens (De docta ignorantia), 1. Buch, 1. Kap.
«Der große Dionysius sagt, die Erkenntnis Gottes führe mehr zum Nichts, als zu etwas hin. Das heilige Nichtwissen belehrt uns aber, dass, was der Vernunft nichts zu sein scheint, eben das unbegreiflich Größte ist.»
Derselbe, ebenda, 3. Buch, 17. Kap.

Religion als objektivierter Glaube und Glaube als subjektivierte Religion

Von der Instrumentalisierung transzendierter Glaubensimplantate
Oder:
Von der Gefährlichkeit der Verabsolutierung des Relativen und der Relativierung des Absoluten


Religion muss für vieles herhalten. Sie bedient Weltbilder, Regelungsbedarf, Beschwörungsbedarf, Rechtfertigungsbedarf, Sendungsbewusstsein, individuelle und ethnokulturelle Identität. Gäb's keine Religion, der Mensch würde sie sich erfinden; so sehr verlangt sein subjektiver Geist nach objektiver Verankerung. In der Religion kommt das unruhige, anfechtbare und angefochtene Subjektive zur Ruhe und Gewissheit. Ehrfürchtig und liebevoll schaut es auf zu seiner Objektivierung als dem Absoluten.


Mensch besetzt das Absolute zonenweise. Das Resultat, die Kartographie des Absoluten, findet sich in jedem Schulatlas. Kreuze an Schulraum- und Gerichtssaalwänden, Bärte und Locken, Hüte und Kappen, Verbeugungen und Kniefälle, Verhüllungen und Beschneidungen von Körperteilen, Rufe und Gesänge, Lautsprecher und Glocken, Türme und Schiffe zeigen lokale und personale Residenzen von Varianten des Absoluten an.


Wirst du im emsländischen Papenburg geboren, hast du mit hoher Wahrscheinlichkeit römisch-katholische Eltern, feierst die Erstkommunion, wirst gefirmt, heiratest katholisch und erziehst deine Kinder entsprechend. Kommst du hingegen im 20 km entfernten ostfriesischen Leer zur Welt, hast du mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit evangelische Eltern, wirst konfirmiert, heiratest protestantisch und erziehst deine Kinder entsprechend. Es sei denn, deine Eltern haben eine Migrationsbiographie. Dann wirst du mit hoher Wahrscheinlichkeit Muslim sein und mit einem muslimischen Partner ehelich verbunden werden und Kinder in die Welt setzen, die die Religion deiner Väter annehmen und weitervererben werden.


Mithin wird das invariante Absolute in konkreten Varianten gedacht. Welchem Menschen wäre auch etwas anderes möglich? Und das ist auch gut so.

Es ist gut so - es sei denn, die Denker nähmen das Gedachte als Absolutes.

  • Dann nämlich kann ein junger Orientale ein gutes Gewissen haben, wenn er, um die Ehre seiner Familie wiederherzustellen, im Auftrag des Familienrats seine europäelnde Schwester tötet.
  • Dann kann sich ein unterbelichteter Präsident von Gott beauftragt sehen, den Irak zu bombardieren und zu besetzen.
  • Dann kann sich ein Mann mit der heiligen Schrift, an deren göttlichen Ursprung er glaubt, rechtfertigen, wenn er seine Frau schlägt, die ihn mit eigenen Ansichten aus der Fassung gebracht hat.
  • Dann können sich nicht wenige Islamgelehrte und muslimische Ärzte auf Gottes Gesetz berufen, wenn sie fordern und in die Tat umsetzen, die sexuelle Erregbarkeit von Mädchen und Frauen durch Verkürzung der Klitoris herabzusetzen.
  • Dann entbehrt es nicht eines theologischen Untergrunds, wenn ein frommer Bibelübersetzer das Judentum als verlogen verabscheut und wenn er in Wort und Schrift Rechtfertigungsgründe für antijüdische Pogrome liefert. «Solches sol man thun, unserm Herrn und der Christenheit zu ehren damit Gott sehe, das wir Christen seien.» (Von den jüden und iren lügen, 1543)
  • Dann kann man es als eine heilige Handlung ansehen, wenn ein Mann Gottes Hunderte von Priestern einer konkurrierenden Religion zusammentreiben lässt und eigenhändig abschlachtet.


Man kann also in ein bestimmtes religiöses Umfeld hineingeboren werden und, von ihm geprägt, in es hineinwachsen. Gegen diesen Enkulturationsprozess spricht nichts und wirklich gar nichts. Aber: Das Moment der Entscheidung geht diesem verinnerlichten Glaubensimplantat ab. Mit der Aufnahme der religiösen Muttermilch ist eine stille Feiung des jungen Menschen gegen religiöse Fremdeinwirkungen verbunden. Solange die Selbstverständlichkeit seines Selbstverständnisses nicht durch existenziell kritische Diskrepanzerlebnisse in Frage gestellt ist, weiß man nicht recht auf die Infragestellung seines Glaubens zu reagieren und sind daher Versuche, seinen Glauben rational, in der Kommunikation nachvollziehbar zu rechtfertigen, im allgemeinen in Hinsicht auf die Tiefe aufgesetzt, in Hinsicht auf die Logik zirkelschlüssig und in Hinsicht auf die Wirkung vielleicht beeindruckend, nicht aber eigentlich überzeugend.

Damit kann man aber doch leben - - - es sei denn, der Implantatsträger beginnt, um sein Implantat zu fürchten, sei es weil es sich auflösen könnte, sei es weil er selbst es abstoßen könnte. Angst um den Bestand des Selbstverständnisses kann Überreaktionen hervorrufen, die nicht nur die Innenwelt, sondern auch das Verhalten zur Außenwelt in Unordnung bringen.

Damit allerdings kann man nicht gut leben.


Fürwahr, Religion muss für vieles herhalten. Sie  bedient Weltbilder, Regelungsbedarf, Beschwörungsbedarf, Rechtfertigungsbedarf, Sendungsbewusstsein, individuelle und ethnokulturelle Identität. Gäb's keine Religion, der Mensch würde sie sich erfinden; so sehr verlangt sein subjektiver Geist nach objektiver Verankerung. In der Religion kommt das unruhige, anfechtbare und angefochtene Subjektive zur Ruhe und Gewissheit. Ehrfürchtig und liebevoll schaut es auf zu seiner Objektivierung als dem Absoluten.

Der (religiöse) Glaube nennt die Idee des Zwecks aller Zwecke und des höchsten Guts "Gott". Wiewohl Objekt des Glaubens, entzieht sich Gott aber der Objektivierung durch das glaubende Subjekt: er ist für den Glaubenden das eigentliche, ihn bestimmende Subjekt, und Glauben ist dasjenige Denken, das in dieser inbegrifflichen Subjektivität aufgehoben ist.

Religion aber ist Bindung durch Lehrsätze, Hierarchie, Bimbam und Klimbim, worin mancher Glaube Halt zu finden sucht.


Siehe auch: Johannas Web-Journal: Absolutheit.

Credo ut..., credo quia...

Nicht "credo ut intellegam" (ich glaube, damit ich verstehe) oder "credo ut cognoscam" (ich glaube, damit ich erkenne), nämlich gar kein "credo ut" (ich glaube, damit).
"Do ut des" (ich gebe, damit du gibst) ist heidnische Glaubenshaltung, nicht aber christliche (und vermutlich auch nicht islamische, wenn ich an Ra-bi'a al-'Adawiyya, 717-801, denke).



Ein "credo quia absurdum est" ist als Credo ein Nichts, denn jeder weiß von anderen und sogar von sich selbst, dass in Köpfen vielfältige absurde Vorstellungen nisten, die, wenn ihre Absurdität schon zureichender Grund wäre, sie in einem Glaubensakt für Wahrheit zu halten, einen Glauben an alles, nur nicht an die Entfaltbarkeit der Vernunft begründeten.

2007-07-10

Das Weltkönigtum als Versuchung Jesu

1. Die Versuchung zum Weltkönigtum

Matthäus 4

8 Wieder nahm ihn der Teufel mit sich und führte ihn auf einen sehr hohen Berg; er zeigte ihm alle Reiche der Welt mit ihrer Pracht

9 und sagte zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest.

10 Da sagte Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn in der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.



Lukas 4

5 Da führte ihn der Teufel (auf einen Berg) hinauf und zeigte ihm in einem einzigen Augenblick alle Reiche der Erde.

6 Und er sagte zu ihm: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem ich will.

7 Wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest, wird dir alles gehören.

8 Jesus antwortete ihm: In der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen.




2. Die Macht Christi im Himmel und auf Erden



Matthäus 28

18 Da trat Jesus auf sie zu und sagte zu ihnen: Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde.

19 Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,

20 und lehrt sie, alles zu befolgen, was ich euch geboten habe. Seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.

Ratzinger: Zum Königtum Jesu



»Der Teufel führt den Herrn visionär auf einen hohen Berg. Er zeigt ihm alle Königreiche der Erde und deren Glanz und bietet ihm das Weltkönigtum an. Ist das nicht genau die Sendung des Messias? Soll er nicht der Weltkönig sein, der die ganze Erde in einem großen Reich des Friedens und des Wohlstands vereinigt?« [S. 67]

Jesu »Macht setzt das Kreuz voraus, setzt seinen Tod voraus. Sie setzt den anderen Berg voraus - Golgotha, wo er, von den Menschen verspottet und von den Seinigen verlassen, am Kreuz hängt und stirbt. Das Reich Christi ist anders als die Königreiche der Erde und ihr Glanz, den Satan vorführt. Dieser Glanz ist, wie das griechische Wort doxa besagt, Schein, der sich auflöst. Solchen Glanz hat Christi Reich nicht. Es wächst durch die Demut der Verkündigung in denen, die sich zu seinen Jüngern machen lassen, die getauft werden auf den dreifaltigen Gott und die seine Gebote halten (Mt 28,19f).« [S. 68]

Der wahre Gehalt der Versuchung »wird sichtbar, wenn wir sehen, wie sie die Geschichte hindurch immer neue Gestalt annimmt. Das christliche Kaisertum versuchte alsbald, den Glauben zum politischen Faktor der Reichseinheit zu machen. Das Reich Christi soll nun doch die Gestalt eines politischen Reiches und seines Glanzes erhalten. Der Ohnmacht des Glaubens, der irdischen Ohnmacht Jesu Christi soll durch politische und militärische Macht aufgeholfen werden. In allen Jahrhunderten ist in vielfältigen Formen diese Versuchung immer neu aufgestanden, den Glauben durch Macht sicherzustellen, und immer wieder drohte er gerade in den Umarmungen der Macht erstickt zu werden. Der Kampf um die Freiheit der Kirche, der Kampf darum, dass Jesu Reich mit keinem politischen Gebilde identisch sein kann, muss alle Jahrhunderte geführt werden. Denn der Preis für die Verschmelzung von Glauben und politischer Macht besteht zuletzt immer darin, dass der Glaube in den Dienst der Macht tritt und sich ihren Maßstäben beugen muss.« [S. 68f.]

Barabbas (Bar-Abbas: "Sohn des Vaters"), Origines zufolge in vielen Handschriften der Evangelien bis ins 3. Jahrhundert "Jesus Barabbas" genannt, war eine Art messianischer Doppelgänger zu Jesus, freilich mit einer ganz anderen Zielsetzung und Handlungsweise: nämlich der des politischen, gewalttätigen Aufstandes (Mk 15,7; Lk 23,19.25; Mt 27,16). Mit Jesus und Barabbas, beide messianische Gestalten, stehen "zwei Formen des Messianismus" einander gegenüber. Von Pilatus vor die Wahl gestellt, welcher von beiden freigegeben werden soll, entscheiden die Massen sich nicht für diesen "geheimnisvollen Jesus, der das Sich-Verlieren als Weg zum Leben verkündet", sondern für den "Messias, der den Kampf anführt, der Freiheit und das eigene Reich verspricht".« [S. 69f.]

Ratzinger: Zur Regno-Zentrik des Christentums

Aus Ratzingers Jesus-Buch zitiere ich eine Passage, die ich für das Anliegen des interreligiösen Dialogs als bedeutsam ansehe:
Inzwischen hat sich in breiten Kreisen, besonders auch der katholischen Theologie, eine säkularistische Umdeutung des Reichsgedankens entwickelt, die eine neue Sicht des Christentums, der Religionen und der Geschichte im Allgemeinen entfaltet und mit dieser tiefgehenden Umgestaltung die angebliche Botschaft Jesu wieder aneignungsfähig machen will. Es wird gesagt, vor dem Konzil habe Ekklesiozentrik geherrscht, die Kirche sei als der Mittelpunkt des Christentums hingestellt worden. Dann sei man zur Christozentrik übergegangen und habe Christus als die Mitte des Ganzen gelehrt. Aber - so sagt man - nicht nur die Kirche trennt, auch Christus gehört eben nur den Christen. So sei man von der Christozentrik zur Theozentrik aufgestiegen und sei damit schon näher an die Gemeinschaft der Religionen herangerückt. Aber noch sei damit das Ziel nicht erreicht, weil ja auch Gott trennend zwischen den Religionen und zwischen den Menschen stehen kann.


Deshalb müsse nun der Schritt zur Regno-Zentrik, zur Zentralität des Reiches getan werden. Das sei ja schließlich die Mitte von Jesu Botschaft gewesen, und das sei der richtige Weg, um endlich die positiven Kräfte der Menschheit im Zugehen auf die Zukunft der Welt zu bündeln. "Reich" - das bedeute einfach eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung herrschen. Um nichts anderes gehe es. Dieses "Reich" müsse als das Ziel der Geschichte hergestellt werden. Und das sei der wahre Auftrag der Religionen: für das Kommen des "Reiches" zusammenzuarbeiten... Sie könnten im Übrigen durchaus ihre Traditionen bewahren, jede ihre Identität leben, aber sie müssten mit ihren je verschiedenen Identitäten zusammenwirken für eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Respekt vor der Schöpfung bestimmend sind.



Das klingt gut: Auf diesem Weg scheint es möglich, dass Jesu Botschaft endlich universal angeeignet wird, ohne dass man die anderen Religionen missionieren muss; nun scheint sein Wort endlich einen praktischen Inhalt gewonnen zu haben und so die Verwirklichung des "Reiches" zur gemeinsamen Aufgabe zu werden und damit in die Nähe zu rücken. Aber wenn man näher hinsieht, wird man doch stutzig: Wer sagt uns eigentlich, was Gerechtigkeit ist? Was in der konkreten Situation der Gerechtigkeit dient? Wie Friede geschaffen wird? Bei näherem Hinsehen erweist sich das alles als utopistisches Gerede ohne realen Inhalt, sofern man nicht im Stillen Parteidoktrinen als von jedermann anzunehmenden Inhalt dieser Begriffe voraussetzt.

Vor allem aber zeigt sich: Gott ist verschwunden, es handelt nur noch der Mensch. Der Respekt vor den religiösen "Überlieferungen" ist nur scheinbar. Sie werden in Wirklichkeit als eine Menge von Gewohnheiten angesehen, die man dem Menschen lassen soll, obwohl sie im Letzten überhaupt nicht zählen. Der Glaube, die Religionen werden finalisiert auf politische Ziele hin. Nur das Einrichten der Welt zählt. Religion zählt so weit, wie sie dabei behilflich sein kann. Die Nähe dieser nachchristlichen Vision von Glaube und Religion zur dritten Versuchung Jesu[*] ist beunruhigend.



[Joseph Ratzinger, Benedikt XVI.: Jesus von Nazareth. Erster Teil: Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung. Herder, Freiburg im Breisgau, 2007. S. 82-84.]

[* Mt 4,8-10: Weltkönigtum. Siehe dazu Ratzinger, a.a.O., S. 67-74.]

[Hervorhebungen und Anmerkung von mir, JH.]

Aus dieser Analyse Ratzingers (erster Abschnitt), insbesondere aus seinen kritischen Bemerkungen zu dem Analysierten (zweiter Abschnitt), erwachsen für den interreligiösen Dialog einige Fragen, die dann konstruktiv sein können, wenn man von der polemischen Rahmung absieht, die Ratzinger vorgenommen hat, nämlich

* von dem angeblichen Motiv irgendjemandes, die "Botschaft Jesu wieder aneignungsfähig" zu machen;

* von dem angeblichen Bestreben irgendjemandes, an eine "Gemeinschaft der Religionen" heranzurücken;


* von irgendjemandes angeblicher Reduzierung der Gottesreichs-Idee auf "Friede, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" "als das Ziel der Geschichte" und der "wahre Auftrag der Religionen".

Mit dieser Rahmung bereitet der Verfasser den im zweiten Zitatabschnitt vorgenommenen Aufbau eines Popanzes vor, den er dann mit despektierlichem Genuss denunzieren kann: Regno-Zentrik als nachchristliches, gottloses, politisch-utopisches Gerede, offen für beliebige ideologische Ausfüllungen.

Der schwerwiegendste intellektuelle Fehler dieser Popanzfledderei liegt darin, dass der Theologe eine der von ihm selbst herausgestellten Prämissen regno-zentrischen Denkens nicht ernstgenommen hat: die Bewahrung der je eigenen religiösen Identität.

Das Zusammenwirken je verschiedener religiöser Identitäten "für eine Welt, in der Friede, Gerechtigkeit und Respekt vor der Schöpfung bestimmend sind", wird ja doch wohl einen Diskurs über die Begriffe und über Konzepte des Friedens, der Gerechtigkeit und des Schöpfungsrespekts beinhalten; und falls die einzelnen Religionen dazu keinen Beitrag ohne Preisgabe ihrer Identitäten zu leisten imstande wären, wäre es um ihr Selbstverständnis und um den Bestand der Menschheit schlecht bestellt.

In dieser Hinsicht lässt Ratzinger in seinem Jesus-Buch eine ermutigende Stellungnahme vermissen.




Wenn wir nun aber von der popanzkritischen Rahmung der zitierten Ausführungen absehen, können wir ihnen eine wertvolle methodische Anregung für den religiösen/interreligiösen Dialog entnehmen. Parallel zu der Begrifflichkeit Ekklesiozentrik, Christozentrik, Theozentrik und Regno-Zentrik, die der Benennung theologischer Schwerpunktsetzungen dient, lassen sich Felder benennen, auf denen sich verschiedene religiöse Identitäten sinnvoll begegnen können. (Unter Begegnung verstehe ich mehr als nur Informationsaustausch. Sinnvoll nenne ich eine Begegnung, wenn sie unter einer gemeinsamen Fragestellung auf beiderseitigen Verstehensgewinn, wenn nicht gar auf Verständigung angelegt ist.)

Ich skizziere, was ich meine:

* Ein binnengemeinschaftlicher Diskurs setzt gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft voraus. Beispielsweise wird es zwischen katholischen und evangelischen Christen in der Frage des ersten Vatikanischen Konzils keinen Dialog, sondern bestenfalls einen Disput geben; Gleiches gilt für Muslime und Christen in der Frage der Gottessohnschaft Jesu. Statt solcher kaum ergiebigen Dispute empfiehlt es sich, Verstehens- und Verständigungsmöglichkeiten in einer weiteren Perspektive zu suchen.


* Ein jesusbezogener Dialog erscheint mir gerade zwischen Christen und Muslimen sehr aussichtsreich, sofern es um moralische Werte geht.

* Ein theologischer Dialog (im übergreifenden Sinne der Theo-Logie), sinnvoll gerade auch unter dem abrahamitischen Aspekt, mit möglichen Folgen für die Zusammenarbeit an der Humanisierung der Gesellschaften und der Welt-Innenpolitik.

* Weltordnungsbezogener (religiös-moralischer) Diskurs.

* Menschenwürdebezogener (ethisch-politischer) Diskurs ohne unmittelbaren religiösen Bezug.



Es geht nicht darum, eine gemeinsame Religion zu entwerfen und die Wahrheit herauszufinden oder zu verkünden, sondern es geht darum, zusammen zu leben. Gerade das ist aber nicht möglich, wenn man beim Zugehen auf den anderen nur besorgt ist um die eigene Identität. Ich stimme dem Papst ohne jede Einschränkung zu, wenn er sagt:

Nur über die Anerkennung der Zentralität der Person kann man eine gemeinsame Verständigungs-Grundlage finden, eventuelle kulturelle Gegensätze überwinden und die explosive Kraft der Ideologien neutralisieren.


Papst Benedikt XVI., 2005-08-20

2007-01-01

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