2009-11-13

Absolutheitsanspruch

«Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.»

Deshalb landet bei mir kein Mensch, der mir weismachen will, er wisse, was Gott von mir wolle. (Ausgenommen mein langjähriges Zeugen-Pärchen Jehovas, das bei mir grundsätzlich Asyl für die Dauer einer Kanne Kaffee genießt.)
Es soll aber viele Menschen geben, die jenes Wort anders verstehen, die nämlich meinen, Gottes Wille lasse sich untrüglich nur durch die Mittlerschaft von Menschen mit entsprechendem göttlichem Auftrag vernehmen. Dann kann sich in der Relation zwischen Gott und dem einzelnen Menschen vor die Absolutheit Gottes ein menschlicher Absolutismus schieben, der den Satz «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen» usurpiert und somit seine Bedeutung eigentlich ins Gegenteil verkehrt.
Gott, der/die/das Absolute, welch Binsenweisheit, hat "Anspruch" auf Absolutheit - Losgelöstheit, totale Unabhängigkeit von allen Begrenztheiten und Besonderheiten menschlicher Erkenntnis. Nicht aber das vom Menschen Gedachte, Gespürte und Erfahrene. Schon gar nicht das dem Menschen von Menschen sekundär Vermittelte, Verarbeitete und dann Weitergegebene. Selbst das vom Absoluten einem Menschen Geoffenbarte ist nicht das Absolute selbst; denn in der Mit-Teilung liegt bereits eine Relativierung, die die begrenzte, spezifische Verstehensfähigkeit des Subjekts in Form, Sprache und Inhalt berücksichtigen muss, um als Offenbarung überhaupt anzukommen.

«Eine wirkliche Kulturschwelle wurde [...] überschritten, als die Bibel es insgesamt untersagte, Gott mit irgend etwas "Geschaffenem" zu identifizieren, und darüber hinaus ein ausdrückliches Verbot erliess, sich von Gott feste Vorstellungen, "Bilder" zu machen. Fortan galt es als Daseinsverfehlung, als "Sünde", sich absolut zum Relativen (und damit relativ zum Absoluten) zu verhalten. [...]
Insofern ist und war es ein schwerer Fehler, dass im Verlauf der Kirchengeschichte die Botschaft Jesu von der Menschlichkeit des Vertrauens in Gott in ein dogmatisch verwaltetes 'Offenbarungswissen' verwandelt wurde. Aus Fragen des Existierens wurden auf diese Weise Fragen des Dozierens, die einfache Humanität des Wirkens Jesu verwandelte sich in die Pose eines göttlichen Wahrheitsbesitzes, aus einer Botschaft, die alle Menschen miteinander verbinden und versöhnen sollte, wurde der Exklusivitätsanspruch eines absoluten, unfehlbaren Lehramtes, die Gottunmittelbarkeit des Menschen, in welcher der 'Glaube' Jesu wesentlich bestand, verformte sich nunmehr zu einem komplizierten Instanzenzug der 'Kompetenz' von 'Gottesgelehrten', die aufgrund einer langjährigen Ausbildung als 'Fachleute' den einfachen Leuten, den 'Laien', allererst zu sagen vermögen, was das wohl ist: ein rechtes 'Glauben', das den Menschen aus dem Abgrund rettet.» (E. Drewermann)

«Der Mensch weiß von Gott in dem Sinne, dass Gott im Menschen von sich selber weiß.»
Dieser pantheistische Satz Hegels lässt sich, ganz ernst genommen, als eine unerhörte Relativierung allen religiösen Wissens verstehen; denn er relativiert den absoluten Geist selbst, insofern er dessen Selbst-Bewusstsein abhängig macht von einem anderen Selbst oder verschiedenen anderen Selbsten. Über die Erhabenheit des göttlich-absoluten Geistes und über die Größe des menschlich-subjektiven Geistes sagt der Hegelsche Satz mithin nichts Positives aus; vielmehr redet er mittelbar neben einem idealisierenden Denken auch einem Denken das Wort, nach dem Gott eben dasjenige ist, was der Mensch sich unter ihm vorstellt.

Das Absolute ist und bleibt Gott; was der Mensch davon denkt, vernimmt, sagt, kann keinen Anspruch auf Absolutheit erheben.
So gesehen, geht es nicht um eine "Preisgabe des 'Absolutheitsanspruchs'", sondern um Bescheidung des Menschleins in seiner Stellung zum Göttlichen.

K. Barth, radikaler Fundamentalist, warnt vor der Verabsolutierung der Subjektivität unserer oder der kirchlichen Tradition. Auch für die Gemeinde gebe es keine beanspruchbare Absolutheit, und die Offenbarung sei gleich weit von christlichen Menschen und nichtchristlichen Menschen entfernt.

Ich kenne niemanden und weiß um niemanden, der, die Thora, die Bibel oder den Koran im Kopf, sich als rigoroser Amtswalter oder Milizionär für die endgültige Weltverbesserung verantwortlich dünkt und als Weg zu diesem Ziel und als Ziel selbst eine menschliche Gesellschaft vor Augen hat, deren Maxime der geschwisterliche Respekt eines open mind und open heart gegenüber dem je Anderen, auch Fremden, wäre.

Leider gibt es hierin keinen erkennbaren Unterschied zwischen den fanatisch Bewegten. Es gab auch areligiöse Revolutionen, die ihrer Freiheits-, Gleichheits- und Brüderlichkeitsideen halber ihre Kinder fraßen. Real existent war auch der leninistische Sozialismus, der sich in dem Maße von seinem kommunistischen, herrschaftsfreien Ziel entfernte, wie er um dieses Ziels willen die Genossen zu Knechten machte.

Wodurch kommt es dazu, dass die Ideen der Nächstenliebe, der Feindesliebe, der Gerechtigkeit, der Befreiung und der Solidarität Spuren furchtbarer Verheerung in der Geschichte hinterlassen?
Ich behaupte nicht, dass die Ursache in den genannten Ideen liege.
Ich behaupte auch nicht, dass die Ursache das Absolutnehmen dieser Ideen sei.
Was ich behaupte, ist dies:
Verheerend in der Geschichte der Ideen ist der selbstische Absolutismus derer, die die Ideen zu ihrer Sache machen und anderen aufpressen wollen. Daher: Wer mir mit irgend etwas Absolutem kommt, erntet als erstes keine Anerkennung, sondern mein Misstrauen. Denn Losgelöstes gerät in Köpfen leicht außer Kontrolle, will sich, als dem Guten, mit allen Mitteln zum Durchbruch verhelfen und ist daher eine brandgefährliche Ursache für vieles Elend in dieser unserer Welt.

1 Kommentar:

  1. Ich habe soviel verstanden, wenn absolut im Sinne von "losgelöst" gemeint ist, kann sich absolut nur auf eine transzendentale Größe beziehen. Solange und sobald es um Menschen hier auf der Erde, ihre Regeln des Zusammenlebens geht, ist es besser von Allgemeingültigkeit bzw. Universalität zu sprechen.
    Für mich verweist die gesamte Bibel, die Bibel als Ganzes auf die Offenbarung. Die gesamte Bibel ist inspiriert, aber meine Auslegung ist subjektiv und hängt von meinem historischem Standpunkt ab und hat deswegen keinen Absolutheitsanspruch.
    Von meinem Standpunkt aus kann und darf und muß ich bestimmte Geschichten kritisieren. Ich kann nicht sagen, dass die in der Bibel geschilderte Art der Landnahme, ihre Gewalt gut war. Ob sie gottgewollt war, wie es einige Bibelstellen andeuten - zumindest die Frage darf ich stellen. Gott führt in der Bibel oft durch Umwege zum Guten. Für mich wird so die Realität angenommen, dass Menschen sich immer wieder in Schuld verstricken und immer wieder neue Chancen bekommen. Aber es wird nicht die Gewalt als solche gutgeheißen - sie ist ein Umweg, der durch die Freiheit der Menschen, nicht durch Gottes Willen bedingt war.
    Ich verstehe allmählich, was an der Barmer Theologischen Erklärung problematisch ist. Aus Ihrer historischen Kritik an den sogenannten "Deutschen Christen" heraus vertrat die Bekennende Kirche, daß es keine Offenbarung außer Jesus Christus bzw. der Bibel (für Christen?) gibt. Grundsätzlich stimme ich zu, bewundere ihren Mut, wenn sie auch gerne noch kritischer hätten sein können, sich mehr gegen die Verfolgung der Juden hätten wenden sollen - aber ich hätte zu ihrer Zeit eher weniger Mut beweisen.
    Aber mich verweist auch die Natur auf die Gegenwart Gottes in der Welt, mich verweisen auch Beziehungen zwischen Menschen auf Gottes Gegenwart in der Welt. Die realen Konflikte zwischen Menschen verweisen auf die Gottesferne. Die Liebe zwischen den Menschen verweist auf das Reich Gottes.
    Aber es gibt keine Gleichsetzung einer existierenden geschichtlichen Gesellschaft mit dem Reich Gottes. Wir streben nach dem Reich Gottes. Wir wünschen, dass so viel wie möglich von diesem Reich in unserer Gesellschaft deutlich wird. Aber die Unvollkommenheit macht unsere Welt aus.

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