«Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.»
Deshalb landet bei mir kein Mensch, der mir weismachen will, er wisse, was Gott von mir wolle. (Ausgenommen mein langjähriges Zeugen-Pärchen Jehovas, das bei mir grundsätzlich Asyl für die Dauer einer Kanne Kaffee genießt.)
Es soll aber viele Menschen geben, die jenes Wort anders verstehen, die nämlich meinen, Gottes Wille lasse sich untrüglich nur durch die Mittlerschaft von Menschen mit entsprechendem göttlichem Auftrag vernehmen. Dann kann sich in der Relation zwischen Gott und dem einzelnen Menschen vor die Absolutheit Gottes ein menschlicher Absolutismus schieben, der den Satz «Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen» usurpiert und somit seine Bedeutung eigentlich ins Gegenteil verkehrt.
Gott, der/die/das Absolute, welch Binsenweisheit, hat "Anspruch" auf Absolutheit - Losgelöstheit, totale Unabhängigkeit von allen Begrenztheiten und Besonderheiten menschlicher Erkenntnis. Nicht aber das vom Menschen Gedachte, Gespürte und Erfahrene. Schon gar nicht das dem Menschen von Menschen sekundär Vermittelte, Verarbeitete und dann Weitergegebene. Selbst das vom Absoluten einem Menschen Geoffenbarte ist nicht das Absolute selbst; denn in der Mit-Teilung liegt bereits eine Relativierung, die die begrenzte, spezifische Verstehensfähigkeit des Subjekts in Form, Sprache und Inhalt berücksichtigen muss, um als Offenbarung überhaupt anzukommen.
«Eine wirkliche Kulturschwelle wurde [...] überschritten, als die Bibel es insgesamt untersagte, Gott mit irgend etwas "Geschaffenem" zu identifizieren, und darüber hinaus ein ausdrückliches Verbot erliess, sich von Gott feste Vorstellungen, "Bilder" zu machen. Fortan galt es als Daseinsverfehlung, als "Sünde", sich absolut zum Relativen (und damit relativ zum Absoluten) zu verhalten. [...]
Insofern ist und war es ein schwerer Fehler, dass im Verlauf der Kirchengeschichte die Botschaft Jesu von der Menschlichkeit des Vertrauens in Gott in ein dogmatisch verwaltetes 'Offenbarungswissen' verwandelt wurde. Aus Fragen des Existierens wurden auf diese Weise Fragen des Dozierens, die einfache Humanität des Wirkens Jesu verwandelte sich in die Pose eines göttlichen Wahrheitsbesitzes, aus einer Botschaft, die alle Menschen miteinander verbinden und versöhnen sollte, wurde der Exklusivitätsanspruch eines absoluten, unfehlbaren Lehramtes, die Gottunmittelbarkeit des Menschen, in welcher der 'Glaube' Jesu wesentlich bestand, verformte sich nunmehr zu einem komplizierten Instanzenzug der 'Kompetenz' von 'Gottesgelehrten', die aufgrund einer langjährigen Ausbildung als 'Fachleute' den einfachen Leuten, den 'Laien', allererst zu sagen vermögen, was das wohl ist: ein rechtes 'Glauben', das den Menschen aus dem Abgrund rettet.» (E. Drewermann)
«Der Mensch weiß von Gott in dem Sinne, dass Gott im Menschen von sich selber weiß.»
Dieser pantheistische Satz Hegels lässt sich, ganz ernst genommen, als eine unerhörte Relativierung allen religiösen Wissens verstehen; denn er relativiert den absoluten Geist selbst, insofern er dessen Selbst-Bewusstsein abhängig macht von einem anderen Selbst oder verschiedenen anderen Selbsten. Über die Erhabenheit des göttlich-absoluten Geistes und über die Größe des menschlich-subjektiven Geistes sagt der Hegelsche Satz mithin nichts Positives aus; vielmehr redet er mittelbar neben einem idealisierenden Denken auch einem Denken das Wort, nach dem Gott eben dasjenige ist, was der Mensch sich unter ihm vorstellt.
Das Absolute ist und bleibt Gott; was der Mensch davon denkt, vernimmt, sagt, kann keinen Anspruch auf Absolutheit erheben.
So gesehen, geht es nicht um eine "Preisgabe des 'Absolutheitsanspruchs'", sondern um Bescheidung des Menschleins in seiner Stellung zum Göttlichen.
K. Barth, radikaler Fundamentalist, warnt vor der Verabsolutierung der Subjektivität unserer oder der kirchlichen Tradition. Auch für die Gemeinde gebe es keine beanspruchbare Absolutheit, und die Offenbarung sei gleich weit von christlichen Menschen und nichtchristlichen Menschen entfernt.
Ich kenne niemanden und weiß um niemanden, der, die Thora, die Bibel oder den Koran im Kopf, sich als rigoroser Amtswalter oder Milizionär für die endgültige Weltverbesserung verantwortlich dünkt und als Weg zu diesem Ziel und als Ziel selbst eine menschliche Gesellschaft vor Augen hat, deren Maxime der geschwisterliche Respekt eines open mind und open heart gegenüber dem je Anderen, auch Fremden, wäre.
Leider gibt es hierin keinen erkennbaren Unterschied zwischen den fanatisch Bewegten. Es gab auch areligiöse Revolutionen, die ihrer Freiheits-, Gleichheits- und Brüderlichkeitsideen halber ihre Kinder fraßen. Real existent war auch der leninistische Sozialismus, der sich in dem Maße von seinem kommunistischen, herrschaftsfreien Ziel entfernte, wie er um dieses Ziels willen die Genossen zu Knechten machte.
Wodurch kommt es dazu, dass die Ideen der Nächstenliebe, der Feindesliebe, der Gerechtigkeit, der Befreiung und der Solidarität Spuren furchtbarer Verheerung in der Geschichte hinterlassen?
Ich behaupte nicht, dass die Ursache in den genannten Ideen liege.
Ich behaupte auch nicht, dass die Ursache das Absolutnehmen dieser Ideen sei.
Was ich behaupte, ist dies:
Verheerend in der Geschichte der Ideen ist der selbstische Absolutismus derer, die die Ideen zu ihrer Sache machen und anderen aufpressen wollen. Daher: Wer mir mit irgend etwas Absolutem kommt, erntet als erstes keine Anerkennung, sondern mein Misstrauen. Denn Losgelöstes gerät in Köpfen leicht außer Kontrolle, will sich, als dem Guten, mit allen Mitteln zum Durchbruch verhelfen und ist daher eine brandgefährliche Ursache für vieles Elend in dieser unserer Welt.